Wo ist Tesla? Mit dem neuen Elektrobus EQV geht Mercedes als erster ins Ziel. Die elektrische Großraumlimousine ist kaum teurer als die Diesel-Variante, schafft 400 Kilometer Reichweite und ist schon im Herbst 2020 verfügbar. Die elektrische V-Klasse ist das zweite Elektromodell von Daimler unter dem Label EQ und wird auf einer Linie mit dem konventionellen Bruder in Werk in Vitoria in Spanien, produziert.
Der Unterschied zur normalen V-Klasse ist marginal. Zumindest optisch. Der Kühler wurde nur leicht verändert, ist geschlossen und erinnert an das bislang nur mäßig erfolgreiche Elektro-SUV EQC. Ab und zu mal die Farbe Blau, hier und da eine Applikation in Rose-Gold - aber sonst ist das eine völlig normale V-Klasse.
Auch vom Platz her. Denn obwohl die 90 kWh-Batterie untergebracht werden musste, bleibt das Raumangebot gleich. Dazu wurden die Zellen im Unterboden eingebaut. Das bringt auch einen tiefen Schwerpunkt. Mit Sicherheit ein Plus beim Fahrverhalten. Dafür ist die Bodenfreiheit nicht ausgeprägt, aber mit einem EQV muss man auch nicht zwangsläufig ins Gelände. Allradantrieb gibt es sowieso nicht, die Power wird auf die Vorderachse geschickt.
Knapp zehn Sekunden braucht der EQV mit seinen 150 kW/204 PS, um Tempo 100 zu erreichen. Bei 140 km/h ist Schluss. Gegen einen kleinen Aufpreis von knapp 200 Euro kann man sich die Top-Geschwindigkeit auf 160 km/h erweitern lassen. AMG light Elektro.
Den Strom-Verbrauch steuert der Pkw-Lenker mit diversen Fahrprogrammen. Bei C(omfort) und S(port) steht die volle Leistung mit einem Drehmoment von 362 Newtonmetern (Nm) zur Verfügung, und die Klimaanlage läuft auf vollen Touren. Dafür aber schmilzt die Reichweite dahin.
250 Kilometer - mehr sind dann bei dynamischer Fahrweise vermutlich nicht drin. Sparsamere Zeitgenossen wählen Stufe E: Hier stehen nur 100 kW/131 PS Leistung zur Verfügung, die Klimaanlage läuft normal. Bei E+ wird es gefährlich - zumindest, wenn die Beifahrerin leicht friert. Denn dann läuft die Heizung nur noch im eingeschränkten Betrieb und die Motorleistung schrumpft um fast die Hälfte auf 109 PS. Dafür sind Energiebilanz und damit die Reichweite besser.
Außerdem kann der Fahrer den Energieverbrauch über die Rückgewinnung von Bremsenergie beeinflussen. Vom einfachen Segeln - hier findet keine Rekuperation statt - bis zum "Ein-Pedal-Fahren" ist hier alles möglich. Bei Letzterem holt sich das System, das Maximum an Power zurück.
Es ist schon beeindruckend, wie so ein 2,7-Tonner auf den Punkt stehen bleibt, wenn man rechtzeitig vom Gaspedal geht. Wer das nicht mag, kann die Rückgewinnung so einstellen als hätte er eine "normale" Motorbremse, das hilft vielleicht beim Übergang von Verbrenner-Zeitalter zur E-Mobilität.
Um die Reichweiten-Angst bei so einem Fahrzeug abzubauen, gibt es weitere Parameter. Einmal, wie schnell so ein E-Auto auflädt. Beim EQV sind es 45 Minuten, um wieder 80 Prozent Batteriekapazität zu haben. Vorausgesetzt man findet eine Gleichstrom-Zapfsäule mit 110 kW. Für größere Taxiflotten oder Chauffeurservices mag sich so ein Investment durchaus rechnen. Wer den EQV privat als Sport-Van oder Familienkutsche nutzen will, der ist schon über eine Wallbox froh. Knapp zehn Stunden dauert es, bis der Daimler-Bus wieder voll einsatzfähig ist. Über Nacht immerhin.
Eine andere Methode, um Reichweitenpanik zu vermeiden, sind intelligente Bordsysteme, die anhand der Navi-Daten genau ausrechnen, wie lang der Akku noch hält, und wo man gegebenenfalls auf der Strecke "auftanken" kann. Das ist bei E-Autos schon fast Standard, beim EQV auch. Aber hier gibt es noch viel mehr. Während der Fahrt wird die Reichweite in Echtzeit angezeigt. Das heißt zur Berechnung, wie lange die Batterie noch Power hat, werden Daten wie Verkehrsfluss, Fahrstrecke (gebirgig oder flach) und Außentemperaturen herangezogen. Außerdem fließt der Fahrstil mit ein. Ist der Fahrer flotter unterwegs, geht die Reichweite nach unten.
Den EQV kann man in zwei Karosserievarianten bestellen. "Lang" mit 5,14 Meter und "Extra Lang" mit 5,37 Metern Länge - das wird aus dem gemütlichen Sechssitzer ein bequemer Achtsitzer. Das Kofferraumvolumen liegt dann immer noch bei 1.410 Litern. Fahrer und Beifahrer fühlen sich allerdings nicht wie in einem Transporter oder Bus, sondern eher wie in einer Limousine.
Dazu trägt auch der 10,25 Zoll große Infotainment-Bildschirm bei. Er ist der sichtbare Vorbote des MBUX-Systems, mit dem die elektrische V-Klasse jetzt ausgestattet ist. Über dieses Tablet oder die Mercedes me-App lassen sich so angenehme Funktionen wie eine bestimmte Wunschtemperatur vor Fahrantritt realisieren.
Mit knapp 70.000 Euro brutto (16 Prozent Mehrwertsteuer) liegt der EQV im förderwürdigen Bereich. Das heißt: Hier bekommt man 7.500 Euro E-Prämie. Und damit zahlt man, je nach Ausstattung, ungefähr so viel wie für die V-Klasse 250d, einen Diesel. Damit will Mercedes auch preislich eine echte Alternative zum Verbrenner bieten.
Rudolf Bögel / mid
Technische Daten Mercedes EQV 300 (Lang)
- Länge / Breite / Höhe: 5,14 / 2,24 / 1,91 Meter
- E-Motor mit Frontantrieb
- Leistung: 150 kW / 204 PS (Peak) 70 kW / 95 PS (Dauer)
- Drehmoment: 362 Nm
- Batteriekapazität: 90 kWh
- Ladedauer: etwa 10 Stunden (Wallbox, 100 Prozent) etwa 45 Minuten (Schnelllader, 110 kW, 80 Prozent)
- Reichweite: bis zu 418 km
- Beschleunigung: 0 - 100 km/h in etwa 10 Sekunden
- Höchstgeschwindigkeit: 140 km/h (Serie)
- Normverbrauch: 28,1 kWh / 100 km (WLTP)
- CO2-Emission: 0 g/km
- Preis: 69.588 Euro
Der Artikel "Reichweiten-Meister: Der Elektro-Mercedes EQV schafft 400 Kilometer" wurde am 22.09.2020 in der Kategorie Fahrbericht von Rudolf Bögel mit den Stichwörtern Elektromobilität, Van, Fahrbericht, Praxistest, Test-Bericht, Pressevorstellung, Test, Bericht, Kurztest, Vorstellung veröffentlicht.