Elektroauto

Elektromobilität: Außerhalb der Komfortzone? Teil eins

27. Juli 2022, 19:25 Uhr
Mike Neumann 8
8Elektromobilität: Außerhalb der Komfortzone? Teil eins
mid Groß-Gerau - 121,9 kW Ladeleistung, mit sehr niedrigem Akkustand ist die Höchstladeleistung also erreichbar. Mike Neumann / mid
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Deutschland mitten im Jahr 2022, die Elektromobilität ist Realität. Die Hersteller versprechen, zwischen 2028 und 2040 ihre Modellpaletten komplett auf (voll-) elektrisierte Fahrzeuge umzustellen. Doch wie schaut das Ganze aktuell in der Praxis aus, wenn man mal nicht von der heimischen Wallbox gemütlich zur Arbeitsstätte und wieder zurück pendelt? Mike Neumann vom Motor-Informations-Dienst (mid) hat interessante Erfahrungen gesammelt. Hier der erste Teil.


Deutschland mitten im Jahr 2022, die Elektromobilität ist Realität. Die Hersteller versprechen zwischen 2028 und 2040 ihre Modellpaletten komplett auf (voll-) elektrisierte Fahrzeuge umzustellen. Doch wie schaut das Ganze aktuell in der Praxis aus, wenn man mal nicht von der heimischen Wallbox gemütlich zur Arbeitsstätte und wieder zurück pendelt? Mike Neumann vom Motor-Informations-Dienst (mid) hat interessante Erfahrungen gesammelt. Hier der erste Teil:

Testkandidat ist ein nagelneuer, vollelektrischer Cupra Born, der sportlichere Bruder des VW ID.3, mit dem kleinen Akku und kleinster Motorisierung. Die technischen Daten präsentieren ordentliche 150 kW/204 PS Leistung, einen WLTP-Verbrauch von 15,5 kWh/100 Kilometer und bis zu 417 Kilometer kombinierte Reichweite nach WLTP aus dem 62 kWh (netto: 58 kWh) fassenden Akku.

Preislich startet dieser Born bei 37.220 Euro, zwar immer noch ein stolzer Preis, im Kreis der Elektrofahrzeuge der Golfklasse aber im Mittelfeld angesiedelt. Also quasi die Kategorie Elektrofahrzeug, das sich der Bürger als "Volkswagen" leisten soll.

Häufig liegt in einem mid-Testfahrzeug ein Transponderchip oder eine Chipkarte, mit der man an Schnellladesäulen bequem laden kann: Einfach Karte präsentieren und los geht es - klingt einfach, könnte es auch sein. Wenn man sich nicht im Vorfeld über diverse Stromanbieter und Ladekarten informiert hat, einfach einsteigt und losfährt, zum Beispiel weil man einen Mietwagen gebucht hat, dann kann das Ganze aber etwas komplexer werden.

Mein Plan steht, ich starte am Brückentag mit guten 80 Prozent Akkuladung in Weinheim an der Bergstraße in Baden-Württemberg, Ziel ist die Thüringer Landeshauptstadt Erfurt, eine Distanz von 323 Kilometern. Sollte ja drin sein. Prompt meldet das Navigationssystem im Fahrzeug, ich solle einen Zwischenstopp an einer Ladestation einlegen. Ich bekomme eine Auswahl angezeigt und entscheide mich für eine Station in Kirchheim, bis dahin wären gut zwei Drittel der Strecke bewältigt und ich könnte eine Pause einlegen.

So weit, so gut, der Born fährt geschmeidig, die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h wird auch öfter mal erreicht und dann realisiere ich, dass ich wohl nicht der Einzige mit der Idee war, diese Strecke am Brückentag zu fahren: Stau. Bei strahlendem Sonnenschein und gut 30 Grad Celsius hat die Klimaanlage zu kämpfen, der Stauassistent erleichtert das Stop-and-Go Fahren aber ungemein.

Es dauert länger, der Akkuinhalt schwindet. Langsam fange ich an zu schwitzen und denke mir: "Erreiche ich mein Ziel noch? Was passiert, wenn ich liegenbleibe?" Im Panikmodus klemme ich mich hinter einen Lkw und fahre die letzten 60 Kilometer mit 70 km/h im Windschatten. Immerhin weiß ich seitdem, dass man einen Cupra Born auch mit unter 14 kWh je 100 Kilometer fahren kann.

Mit acht Prozent Restladung erreiche ich mein Ziel, eine große Shell-Tankstelle mit vier nagelneuen Ladesäulen, alle 300-kW-fähig. Die maximale Ladeleistung am Cupra beträgt 130 kW. Alle Ladesäulen sind frei, ich scheine Glück zu haben. Das Auto ist fix mit dem CCS-Combo Typ 2-Kabel verbunden. Da ich ja diesmal keine Karte und keinen Transponder dabei habe und keinen Ladevertrag besitze, studiere ich die Anleitung an der Ladesäule. Aha, ein QR-Code, den man mit seinem Smartphone auslesen soll, man braucht also ein Smartphone und eine App, die QR-Codes lesen kann. Das haben nicht alle Smartphones von Haus aus installiert, ich habe wieder Glück und werde auf eine Website weitergeleitet. Hier bestätige ich die Säule und soll dann meine Kreditkartendaten eingeben. Diese habe ich glücklicherweise ebenfalls parat, das ist auch kein Standard.

Die Website lädt eine Weile und ich erhalte eine Störungsmeldung - geht nicht. Komisch, denke ich mir, aber ich habe ja noch drei weitere Säulen zur Auswahl. Nach drei Umpark-Aktionen und missglückten Versuchen und an der vierten Säule angekommen kriege ich ein mulmiges Gefühl mit meinen acht Prozent Restakkukapazität. Geht wieder nicht. Ich finde einen Hinweis zum Download der Shell-App, eventuell kann ich ja damit zahlen und einen neuen Versuch starten!

Fix die App über das mobile Datenvolumen geladen (benötigt man entsprechend ausreichend) und mir wird vorgeschlagen, ich könnte die Shell-Elektrotankkarte bestellen, diese wird mir dann bequem nach Hause geliefert und mit ihr könnte ich dann Strom tanken. Bringt mir jetzt leider nicht viel, da ich gute 300 Kilometer von Zuhause entfernt bin.

Weitergrübeln ist angesagt. Ich finde eine Notfall-Telefonnummer an der Säule und rufe an. Die nette Dame am Telefon bestätigt mir, dass aktuell alle vier Säulen offline sind, sie einem Techniker Bescheid gibt und die Reparatur dann demnächst erfolgen wird. Mit "demnächst" kann ich am frühen Nachmittag bei 30 Grad Celsius in der blanken Sonne leider nichts anfangen und ich möchte mich im Nachhinein nochmals entschuldigen, ich glaube ich war nicht der netteste Telefonpartner in dieser Situation.

An der Tankstelle gibt es wie gewohnt eine Kasse, an der ich vorstellig werde und mein Problem schildere - "ah, die Säulen gehen mal wieder nicht? Schauen sie mal hier um die Ecke, dort gibt es noch zwei vom lokalen Energieversorger!" Das hilft mir jetzt weiter, vielen Dank nochmals an die netten Damen für diese Auskunft.

Das Navigationssystem des Born kannte nur die Ladesäulen an der Tankstelle, ich bemühe mein Mobiltelefon und Google Maps und finde 300 Meter weiter tatsächlich eine Ladesäule mit zwei Anschlüssen. Angeblich können die mit 100 kW laden, die Bewertungen im Internet sagen mir aber, dass hier nicht mehr als 50 kW am Fahrzeug ankommen. Nachdem ich die Säule studiert habe und nach dem Scannen des QR-Codes auf der entsprechenden Website lande, finde ich nur die Option vor, via Paypal zu zahlen - wieder etwas Neues.

Zum Glück habe ich auch dafür einen Account. Die Bewertungen bestätigen sich und ich lade mit maximal 50 kW zum Preis von 39 Cent pro kWh. Zum Glück funktioniert die Klimaanlage während des Ladens und ich werde nicht schonend gegart. Da ich jetzt etwas Zeit habe, schaue ich am Smartphone in Google Maps herum. Da gibt es eine Option, mit der ich Orte in der Nähe suchen kann, zum Beispiel "Tankstellen". Eine Option "Ladesäule" vermisse ich leider. Wenn man nach Ladesäule sucht, findet man zwar welche, die Suchergebnisse mit diversen 11-kW-Säulen bringen mich aber trotzdem nicht weiter, mein Plan war es ja, heute noch anzukommen. Suche ich nach "Supercharger", lande ich nur bei Tesla - geht mit dem Cupra Born leider nicht. Tesla hat wohl mittlerweile Ladesäulen, die für alle Fahrzeuge offen sind, hier ist das aber noch nicht der Fall. Wenn ich zur Aral-Ladeinfrastruktur möchte, muss ich explizit nach "Aral Pulse" suchen - wenn man diesen Namen nicht kennt, steht man wie ich doof da.

Teil zwei folgt

Mike Neumann / mid

Der Artikel "Elektromobilität: Außerhalb der Komfortzone? Teil eins" wurde am 27.07.2022 in der Kategorie New Mobility von Mike Neumann mit den Stichwörtern Elektroauto, Ladestation, Infrastruktur, Praxistest, Mobilität, New Mobility, veröffentlicht.

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