Mobilität

mid-Kommentar: Ratlos in München

8. September 2021, 16:37 Uhr
Christoph Reifenrath
mid-Kommentar: Ratlos in München
mid München - Mit neuem Konzept und neuer Heimat wollte die IAA Mobility 2021 in die Zukunft starten. Der Versuch ist - das lässt sich bereits einen Tag nach der offiziellen Eröffnung sagen - zumindest teilweise gescheitert. Jutta Bernhard / mid
Mit neuem Konzept und neuer Heimat wollte die IAA Mobility 2021 in München vom 7. bis 12. September in die Zukunft starten. Der Versuch ist - das lässt sich bereits einen Tag nach der offiziellen Eröffnung sagen - zumindest teilweise gescheitert. Ein Kommentar von mid-Chefredakteur Christoph Reifenrath.


Mit neuem Konzept und neuer Heimat wollte die IAA Mobility 2021 in München vom 7. bis 12. September in die Zukunft starten. Der Versuch ist - das lässt sich bereits einen Tag nach der offiziellen Eröffnung sagen - zumindest teilweise gescheitert. Dies allein dem Veranstalter zuzuschreiben, wäre allerdings zu kurz gesprungen. Ein Kommentar von mid-Chefredakteur Christoph Reifenrath.

Sie sollte ein Volksfest der neuen Mobilität werden. Unter der Fragestellung "What will move us next - was wird uns demnächst bewegen?" wollten die Macher der neuen IAA Fortbewegungsmittel aller Art in den Mittelpunkt setzen - nicht nur den "eigenen" Pkw. Zu den 700 Ausstellern zählen folgerichtig nicht nur Fahrzeughersteller und Zulieferer, sondern auch Mobilitäts-Startups sowie mehr als 70 Fahrradmarken. Auf der sogenannten "Blue Lane", einer Art Umweltspur, sollen die Besucher zudem mehr als 250 zukunftsgerichtete Fahrzeuge selbst testen können.

Gestern Abend gegen 17.00 Uhr in der Münchener Innenstadt. Stau statt Blue Lane. Bei Google Maps sind fast alle Straßen im gesamten Stadtzentrum tiefrot markiert. Ein Bekannter, der eines der faktisch dann doch äußerst raren, weil auf Stunden ausgebuchten Test-E-Mobile ergattert hat, meldet, dass er in einer Stunde nicht einmal sechs Kilometer geschafft habe. Fragt sich, warum er nicht die bereits 1971 eröffnete U-Bahn genommen hat oder einfach zu Fuß gegangen ist.

Das Geschilderte offenbart vor allem eines: Der Verkehrskollaps in Städten wie München ist im Berufsverkehr längst Realität, auch mehr Elektrofahrzeuge werden daran grundsätzlich nichts ändern. Die Vernetzung unterschiedlicher Verkehrsträger steckt immer noch in den Kinderschuhen, auch weil daran in Wahrheit bislang niemand ein ernsthaftes Interesse hat(te).

Derweil leert sich nach dem Fachbesuchertag das Parkhaus auf dem Messegelände. Insgesamt ist hier deutlich weniger los als etwa bei der IAA in Frankfurt in der Vergangenheit. Dennoch fällt auf: Die neue Mobilität ist in der Alltags-Realität der meisten "Fach"-Besucher offenbar noch nicht angekommen, und das obwohl im Parkhaus immerhin schon 80 Ladesäulen zur Verfügung stehen. Stattdessen sehen wir überwiegend Benziner und Diesel, keineswegs untermotorisierte dazu.

Vor uns ein Rolls Cunningham, daneben nicht wenige dunkle Limousinen und Coupes mit RS, GT oder AMG-Schriftzügen. Klar scheint: Solange Dienstwagen sowohl Statussymbol als auch willkommene Gehaltsaufbesserung inklusive Gratis-Sprit sind, wird sich an dieser Diskrepanz zwischen propagierter und gelebter Mobilität kaum etwas ändern.

Zuvor in den Messehallen: Ratlose Gesichter, nicht selten gähnend leere Stände. Der Mix aus - wenigen - Autoherstellern, Zulieferern, Start-ups, Mobilitäts-Anbietern funktioniert schon bei Journalisten und Fachbesuchern einfach nicht. Zahlende Besucher dürfte er noch viel weniger begeistern. Am Ende wird hier wohl im wahrsten Sinne des Wortes niemand auf seine Kosten kommen. Ganz unabhängig von der IAA drängt sich die Frage auf, ob Messegelände mit immer schwerer zu füllenden Riesen-Hallen überhaupt noch eine Zukunft haben.

Zeitsprung: Am Morgen hatten Aktivisten zum IAA-Start den Verkehr auf Autobahnen rund um München für längere Zeit lahmgelegt. Auf der A8, auf der A92, der A94 und der A96 entrollten sie Banner - teilweise seilten sich Menschen von Autobahnbrücken ab. Laut ADAC bildeten sich deswegen auf der A8 und der A9 Staus von bis zu elf Kilometern Länge. Der Höhepunkt der Proteste wird für das kommende Wochenende vorausgesagt, bis zu 4.500 Polizisten sollen in der Landeshauptstadt bereitstehen.

"Wir fordern autofreie Städte, den sofortigen Baustopp aller Autobahnprojekte, einen stark ausgebauten und kostenlosen ÖPNV - vor allem auf dem Land", heißt es in der Pressemitteilung der IAA-Gegner. Der erhoffte Dialog dürfte angesichts solcher Standpunkte zumindest hier keine Chance haben.

Immerhin: Das Konzept der dezentralen Open Spaces auf Münchener Plätzen funktioniert. Dort herrscht am Mittwoch bei herrlichem Wetter und freiem Eintritt fast so etwas wie Volksfeststimmung, vor den dort eingerichteten Ständen bilden sich lange Schlangen. Das Informations- und Erlebnisbedürfnis in Sachen zukunftsfähiger Mobilitätslösungen bei vielen Menschen scheint groß. Das macht Hoffnung, dass wir die Kurve hin zu nachhaltigerer Mobilität vielleicht doch noch kriegen können.

Christoph Reifenrath / mid

Der Artikel "mid-Kommentar: Ratlos in München" wurde am 08.09.2021 in der Kategorie New Mobility von Christoph Reifenrath mit den Stichwörtern Mobilität, Messe, Kommentar, Automobil, Elektromobilität, New Mobility, veröffentlicht.

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