Fahrbericht

Toyota Camry Executive: Taxifahrer am Meer

23. April 2019, 11:11 Uhr
Klaus Brieter
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Darf es etwas weniger Lexus ES sein? Toyota wagt an der Nahtstelle zur oberen Mittelklasse mit einem alten Namen einen neuen Versuch: Der Camry ist wieder da.

Darf es etwas weniger Lexus ES sein? Toyota wagt an der Nahtstelle zur oberen Mittelklasse mit einem alten Namen einen neuen Versuch: Der Camry ist wieder da. Die Modellbezeichnung war 2004 hierzulande in der Versenkung verschwunden, wenngleich der Camry auf dem Weltmarkt in 100 Ländern kräftig auftrumpfte.

Immerhin rollten seit dem Start 1982 in sieben Generationen 19 Millionen Exemplare zu den Kunden. Die Gemeinsamkeiten zum teureren Lexus ES, dem Schwestermodell des neuen Camry, sind augenfällig: der bis auf die PS-Zahl identische Hybridantrieb, annähernd deckungsgleiche Maße und das Karosseriekonzept als viertürige Stufenhecklimousine.

Toyota weiß genau, dass die Kriterien, die auf vielen Märkten gut funktionieren, in Deutschland keine Garantie für Erfolg sind. Und warum wagt der japanische Automobilgigant den Versuch trotzdem? Mario Köhler, der Manager für den Flottenkundenbereich, erwähnt in seinen Erklärungen auffällig oft das Taxigewerbe. Kein Wunder, denn seit dem Aufbranden der Dieseldiskussion stellen immer mehr Taxibetriebe in den Ballungsräumen ihren Fuhrpark auf Hybridfahrzeuge um. Eine Erfolgsnummer für Toyota. Köhler: "In Berlin ist mittlerweile jedes vierte Taxi ein Toyota Prius."

Damit nicht genug. Köhler rechnet damit, dass vom Camry ab Anfang August rund 80 Prozent an Business-Kunden ausgehändigt werden. Nicht unbedingt für größere Firmenflotten sondern mehr für selbstständige Geschäftsleute, die eher selten auf langer Strecke unterwegs sind. Diese Klientel hat nicht den großen Leistungshunger, der vom Camry ohnehin nicht befriedigt werden kann. Seine Stärke kann er nur in einem Fahrprofil ausspielen, bei dem der Anteil an Stadtfahrten dominiert: dort punktet der Hybrid mit niedrigem Verbrauch. So überrascht es nicht, dass der Neuling keine Massenbewegung bei den Autobahn-Limousinen auslösen wird. Und deswegen kalkuliert das Marketing für 2020 in Deutschland lediglich 1000 Camry ein.

Das Design des Camry reißt nicht vom Hocker. Würde man das Toyota-Emblem abkleben und nach der Marke fragen, würden nur wenige Kandidaten auf die richtige Antwort kommen. Ist der Japaner damit als austauschbares Allerweltsauto abgestempelt? Nicht unbedingt, denn die spezielle Auslegung des Hybridantriebs trägt eindeutig Toyotas Handschrift: Ein 2,5-l-Benziner ohne Turbo arbeitet mit einem Elektromotor zusammen, das Ergebnis ihrer Kooperation wird via CVT-Getriebe an die Vorderachse ausgehändigt. Da der E-Motor keine Boostfunktion beim Beschleunigen aus niedrigen Drehzahlen übernimmt, steuert das stufenlose Automatikgetriebe beim nachdrücklicheren Gasgeben spontan die Höchstdrehzahl an, um dort zu verharren. Dabei klingt der Verbrennungsmotor eher gequält als freudig. Ein Grund, warum das CVT-Getriebe oft scherzhaft als "Heulomatik" bezeichnet wird.

Dank des niedrigeren Gewichts gegenüber dem Lexus ES wirkt der Camry allerdings nicht so betulich wie sein Luxusbruder, wenngleich er deswegen nicht zum fahrenden Temperamentsbolzen mutiert. Wer sich nicht zu den engagierten Autofahrern zählt und es erst gar nicht versucht, mit dem Camry dynamisch unterwegs zu sein, wird jedoch mit einem achtbaren Niedrigverbrauch belohnt: Wir erreichten beim gemächlichen Gleiten über die Landstraßen an der kroatischen Adriaküste rund um Split einen Verbrauch von 4,8 l pro 100 km. Das muss jeden kostenbewussten Taxiunternehmer nachdenklich stimmen.

Auch potenzielle Taxipassagiere im Fond des Camry können begeistert sein. Denn die Beinfreiheit der Hinterbänkler entspricht eher der Business- denn der Economy-Klasse. Auch die Verarbeitungsqualität der Innenmaterialien hinterlässt einen guten Eindruck, wenngleich Toyota sehr genau darauf achtet, dass das höhere Niveau des Lexus nicht erreicht wird. Das Fahrwerk tendiert in die komfortable Richtung und unterstreicht damit ebenfalls, dass der Camry mit sportlicher Fortbewegung eher wenig zu tun haben will.

Die Ausstattung wirkt schon in der Business-Edition ziemlich komplett und lässt in der Executive-Variante kaum noch Wünsche offen. Warum das erhältliche Head-Up-Display, von dessen Vorzügen wir uns im belgischen Testwagen überzeugen konnten, ausgerechnet in Deutschland nicht angeboten wird, ist eines jener Geheimnisse, mit denen Marketing-Verantwortliche der Autoindustrie ihre Kunden manchmal überraschen. Vermutlich wurde beim Erstellen der Preisliste mal wieder um jeden Euro (Business: 39.900 Euro; Executive: 42.390 Euro) gefeilscht. Dabei gehört dieses sinnvolle Detail in der Mittelklasse längst zum Standard, selbst ein Mazda 3 aus einer Fahrzeug-Klasse tiefer kann optional damit aufwarten.

Aber vielleicht ist das Head-Up-Display in Taxifahrerkreisen eher verpönt. Flottenmanager Köhler beeilt sich mitzuteilen, dass das Taxipaket mit einem scharf kalkulierten Aufpreis auf den Cent genau 1773,10 Euro kosten wird. Nun bleibt abzuwarten, ob sich der Taxi-Unternehmer von seinen angestellten Fahrern, die er mit dem Prius losschickt, durch das größere Auto unterscheiden will und sich nicht für die Mercedes S-Klasse sondern für den sparsamen Camry entscheidet.

Mario Köhler bekommt leuchtende Augen, wenn er davon spricht, dass in der Bundesrepublik rund 60.000 Taxen zugelassen sind, von denen jährlich 15.000 neu angeschafft werden. Zu gern hätte er in Split die Fachjournalisten allesamt mit Camrys in der Taxiausstattung losgeschickt, um ein Signal zu setzen.

Klaus Brieter / mid

Technische Daten Toyota Camry Executive:

Viertürige Limousine der oberen Mittelklasse, Länge/Breite/Höhe/Radstand in Millimetern: 4.885/1.840/1.445/2.825, Leergewicht: 1.595-1.660 kg, Zuladung: 440-505 kg, Tankinhalt: 50 l, Kofferraumvolumen: 524 l

Motor: 4-Zyl-Sauger-Benziner, Hubraum 2.487 cm3, Leistung: 131 kW/177 PS bei 5.700 U/min, max. Drehmoment: 221 Nm bei 3.600-5.200 U/min, E-Motor mit 88kW/120 PS und 202 Nm Drehmoment, Systemleistung: 160 kW/218 PS, 0-100 km/h: 8,3 s, Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h, elektronisch gesteuertes stufenlos variables Getriebe, Frontantrieb, Durchschnittsverbrauch: 4,3-4,4 l/100km, CO2-Ausstoß: 98-101 g/km (jeweils NEFZ-Werte), Preis: 42.390 Euro

Der Artikel "Toyota Camry Executive: Taxifahrer am Meer" wurde am 23.04.2019 in der Kategorie Fahrbericht von Klaus Brieter mit den Stichwörtern Fahrbericht, Limousine, Hybrid-Fahrzeug, Auto, Neuheit, Test-Bericht, Pressevorstellung, Test, Bericht, Kurztest, Vorstellung veröffentlicht.

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