Autofahrer

mid-Kommentar: Hamburger Humbug

21. Juni 2018, 16:13 Uhr
Ralf Loweg
Hamburg macht wirklich ernst. Die Polizei in der Hansestadt geht jetzt gezielt auf die Jagd. Im Visier der Beamten sind aber keine gewöhnlichen Verbrecher, sondern böse Autofahrer. Doch jetzt muss Tacheles gesprochen werden. Lieber Hamburger Senat oder wer auch immer hinter dieser Schnapsidee steckt: Seid ihr eigentlich ganz sauber? Der Motor-Informations-Dienst (mid) geht dieser Frage mit einem Augenzwinkern in einem Kommentar nach.


Hamburg macht wirklich ernst. Die Polizei in der Hansestadt geht jetzt gezielt auf die Jagd. Im Visier der Beamten sind aber keine gewöhnlichen Verbrecher, sondern böse Autofahrer. Denn für zwei Straßen gilt auf eine Gesamtlänge von rund 2,2 Kilometern eine Durchfahrtsbeschränkung für ältere Diesel-Fahrzeuge. Damit soll die Stickoxidbelastung in der Luft reduziert werden.

Soweit erstmal die emotionslose Schilderung der Fakten. Doch jetzt muss Tacheles gesprochen werden. Lieber Hamburger Senat oder wer auch immer hinter dieser Schnapsidee steckt: Seid ihr eigentlich ganz sauber, unsere ohnehin chronisch überlasteten Polizeibeamten jetzt als Öko-Sheriffs auf Patrouille zu schicken?

Beleuchten wir die verfahrene Situation genauer. Laut Hamburger Senat werden die Grenzwerte für Stickoxid-Belastungen an besagten Streckenabschnitten schon seit Jahren überschritten. Und die exakte Einhaltung der Grenzwerte an diesen Passagen sei nur durch die Durchfahrtsbeschränkungen möglich. Freunde, alles schön und gut, die Erde war schließlich auch mal eine Scheibe.

Liebe Hamburger Politiker und selbst ernannte Umwelt-Retter: Das, was ihr da jetzt in eurem Aktionismus veranstaltet, ist Cabaret, schlechtes noch dazu. Dafür würde es im altehrwürdigen Ohnsorg-Theater Tomaten und faule Eier hageln. Die Abgase meiden ab sofort besagte Straßenabschnitte und die Anwohner atmen endlich wieder sauber Luft? Wer soll das denn glauben.

Das Gegenteil dürfte wohl der Fall sein. Denn die Diesel-Stinker bahnen sich fortan halt auf anderen Pfaden ihren Weg durch die Hansestadt. Abgesehen von einem möglichen Verkehrschaos: Die dicke Luft kommen vermutlich auch wieder in die verbotene Zone zurück. Denn woher soll dieses Element eigentlich wissen, dass in Hamburg jetzt ein anderer Wind weht?

Irgendwie erinnert diese Posse an die berühmte Comic-Figur Asterix, den kleinen und pfiffigen Gallier mit dem lustigen Schnauzbart. Ganz Hamburg leidet unter der verpesteten Luft, nur auf zwei Straßen leisten sie erfolgreich Widerstand und freuen sich über ein prima Klima. Liebe Freunde aus der Politik: Hört auf, Bürger mit solchen Schnellschüssen zu schikanieren. Sorgt stattdessen dafür, dass der nächste Weltklimagipfel nicht nur ein Betriebsausflug ist.

In Indien beispielsweise kippen Pharma-Riesen und andere schamlose Konzerne völlig ungeniert Gift und Müll in Flüsse, die diesen Namen längst mehr verdienen. In China blasen Monster-Fabriken Schadstoffe in die Luft als gäbe es kein Morgen, in Metropolen wie Shanghai oder Peking kann man deshalb oft tagelang die Hand vor Augen nicht sehen. Den armen Menschen gibt man einen mittelalterlichen Atemschutz mit auf den Weg. In Afrika, Südamerika und Asien fahren die schlimmsten Dreckschleudern durch die Gegend - und niemand stört sich daran. Last but not least: In den USA will Präsident Donald Trump die Braunkohle-Schlote wieder richtig zum Rauchen bringen.

Und in Hamburg sperren sie zwei Straßen. Wenn das der deutsche Beitrag zur Umwelt-Rettung ist, dann gute Nacht. Dabei sollte spätestens seit der letzten Sendung der Quiz-Show "Wer wird Millionär" eine Einordnung der Umweltsünder auch in unseren heimischen Wohnzimmern möglich sein. Denn seitdem wissen wir, dass die 15 größten Seeschiffe der Welt jährlich mehr schädliche Schwefeloxide ausstoßen als alle 760 Millionen Autos weltweit. Das hat jedenfalls Günther Jauch gesagt, und dem glauben viele Bundesbürger mehr als jedem Politiker.

Doch zurück zum heißen Pflaster Hamburg. Die deutschen Diesel der Neuzeit gehören ganz sicher zu den saubersten der Welt. In einem Moloch wie Manila, Lagos oder Kairo würden die Menschen die Auspuffrohre deutscher Diesel eher für Schläuche von Beatmungsgeräten halten. Klar: Das ist natürlich übertrieben, doch es zeigt die Crux der deutschen Denkweise in der aktuellen Umwelt-Debatte.

Und keine Sorge: Die Autobauer kommen nicht ungeschoren davon. Schon in den 1970er Jahren gab es Testfahrten mit Elektro-Fahrzeugen. Damals dachte man wahrscheinlich, das Erdöl wird niemals knapp, die Weltbevölkerung stagniert, Ozon-Löcher gibt es nur im Weltall, das Eis an beiden Polen wird niemals schmelzen und Umweltzonen in deutschen Großstädten seien ein flippiger Rückzugsort für kiffende Hippies.

Nein, liebe Freunde aus Wolfsburg, Stuttgart oder München: Es gibt absolut keine Entschuldigung dafür, dass ihr mehr als vier Jahrzehnte verschlafen habt. Hätten geniale Köpfe wie Bill Gates oder Steve Jobs nicht an ihre Visionen geglaubt und ähnliche Berührungsängste bei allem Neuen gehabt, dann hätten wir vielleicht noch immer keine Computer oder iPhones. Und deshalb ist Deutschland auch im Jahr 2018 ein Elektroauto-Entwicklungsland. Also liebe Autobauer: hinsetzen und Hausaufgaben machen - und zwar dalli dalli. Dann dürfen die Hamburger hoffentlich bald wieder alle Straßen in ihrer schönen Stadt mit dem Auto befahren.

Ralf Loweg / mid

Der Artikel "mid-Kommentar: Hamburger Humbug" wurde am 21.06.2018 in der Kategorie New Mobility von Ralf Loweg mit den Stichwörtern Autofahrer, Fahrverbot, Umwelt, Dieselmotor, Kommentar, New Mobility, veröffentlicht.

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