Fahrbericht

Test: VW Golf - Es fehlt nur der richtige Dreh

12. Oktober 2017, 14:13 Uhr
Holger Holzer/SP-X
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Sparsamer Benziner, ausgewogenes Fahrwerk und ein hochwertiger Eindruck: Der überarbeitete Golf VII macht vieles richtig. In mindestens einer Hinsicht haben die Entwickler beim Lifting aber den falschen Knopf gedrückt.

Auch wenn VW im Dieselskandal auf ganzer Linie enttäuscht: Autos bauen können die Wolfsburger noch immer, wie man gerade am frisch gelifteten Golf sieht. In der neuesten Variante kann man zudem getrost auf den Dieselmotor verzichten: Mit dem neuen 1,5-Liter-Turbobeziner ist der Kompakte ein gelungener Allrounder, der auch auf Langstrecken gefällt. Trotzdem gibt es Grund für Kritik.

Dass Schein und Sein auch bei VW nicht immer übereinander passen, weiß man spätestens seit dem Betrug bei den Dieselmotoren. Eine Eskalationsstufe tiefer haben die Wolfsburger das Prinzip der hell glänzenden Oberflächlichkeit jedoch ohne Schummelei zur Perfektion getrieben. Und das ist gar nicht despektierlich gemeint. Wer sich in auf den Fahrersitz des Golf setzt, sieht und fühlt Qualität. Das griffige Lederlenkrad, die fein rastenden Taster, die weichen Oberflächen und zahlreiche durchgestaltete Details wie die konkaven Blinkergriffe oder die detailreich gezeichnete Grafik des Bordcomputers - all das ist sorgfältig durchdacht und auch noch gut umgesetzt. Dass an den Orten, wo Hand und Auge nicht hingelangen Kunststoffgrate, billige Stoffe und sparsam aufgetragene Lacke vom Kostendruck in der Kompaktklasse erzählen? Das muss man schon wirklich hören wollen.

Das Facelift hat den Qualitätseindruck des Golf mit zahlreichen Detailverbesserungen noch einmal vertieft. Doch ausgerechnet bei einer nicht ganz unwichtigen Neuerung patzt VW: Das aufpreispflichtige Top-Infotainment-System nervt mit schlechter Bedienbarkeit. So dauert es gefühlt ewig, bis etwa das Navigationsgerät nach Motorstart bereit ist, Anweisungen entgegenzunehmen. Noch schlimmer: Der Golf verzichtet auf den jahrzehntelang erprobten Drehknopf zur Lautstärkeregelung und zwingt dem Fahrer stattdessen den Druck auf feedbacklose Touchscreen-Tasten oder winzige Multifunktionslenkrad-Schalter auf. Das klingt jetzt vielleicht nach Meckern auf hohem Niveau - und das ist es auch. Allerdings hat der rund herum Perfektion ausstrahlende Golf selbst die Messlatte so weit oben angesetzt.

Keinerlei Scheitern an den eigenen Ansprüchen ist hingegen beim Antrieb zu beobachten. Der neue, als Volumenmotor eingeplante, Vierzylinder ist mit 1,5 Litern zwar etwas größer als der alte 1,4-Liter-TSI, bietet aber exakt das gleiche Drehmoment und identische Fahrleistungen. In der gefahrenen Version mit 110 kW/150 PS zeigt der Turbobenziner einen ähnlichen Charakter wie der Vorgänger: Viel Kraft schon bei niedriger Drehzahl, guten Durchzug bis ins forcierte Autobahntempo, bevor ihm im gehobenen Tourenband ein wenig die Luft ausgeht. Gelegentlich wird die Laufkultur kritisiert, die gegenüber dem Vorgänger abgenommen haben soll. Das scheint auch ohne direkten Vergleich zwar möglich, aber kaum entscheidend zu sein: Der Vierzylinder zählt in dieser Hinsicht sicherlich immer noch zur Spitzengruppe in seinem Segment. Also auch hier: Meckern auf hohem Niveau.

Grund für den möglicherweise etwas raueren Lauf dürfte die Erhöhung des Einspritzdrucks sein, die gemeinsam mit der Umstellung auf den sparsamen Miller-Zyklus, einem neuen variablen Turbolader und der unmerklich im Hintergrund arbeitenden Zylinderabschaltung für einen geringeren Spritdurst sorgt. 4,9 Liter gibt das Datenblatt an. Und wer es drauf anlegt, kommt tatsächlich mit gut fünf Litern aus. Auch bei normaler Fahrt auf Landstraße oder bei Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn bleibt die fünf vor dem Komma stehen. Wer Gas gibt oder viel im Stadtverkehr fährt, rechnet eher mit knapp sieben Litern. Beides ist für einen durchaus flotten Benziner in der Kompaktklasse aller Ehren wert - und auch ein Argument gegen den lange Zeit unwillkürlichen Griff zum sparsamen Diesel. Ob man allerdings mit dem neuen TSI wirklich sauber und zukunftssicher unterwegs ist, ist fraglich. Bislang nämlich verzichtet VW auf den Einsatz eines Partikelfilters, führt ihn erst im Laufe des kommenden Jahres ein. Hier ist Meckern tatsächlich mal angebracht. Kunden, die jetzt kaufen, könnten sich im kommenden Jahr nach der möglicherweise abgeflachten NOx-Diskussion plötzlich im Fokus einer aufkochenden Feinstaub-Diskussion wiederfinden. Wer mit dem Kauf warten kann, sollte das lieber tun und auf das wirklich saubere Auto warten.

So gut der Golf auch in der verfeinerten Facelift-Variante ist - perfekt ist er eben nicht. Wer jedoch möglichst nahe an das Ideal heran will, verzichtet einfach auf das Top-Infotainment und greift eine Stufe tiefer zu, wartet bis zur Einführung des Partikelfilters und fährt zur laufkulturellen Abhärtung eine Weile einen alten Pumpe-Düse-Diesel aus dem VW-Konzern. Und spart nicht zuletzt schon mal 24.350 Euro. Denn so viel kostet der Golf als 110 kW/150 PS starker Benziner mindestens.

Technische Daten - VW Golf 1.5 TSI:

Fünftüriger, fünfsitziger Kompaktwagen:  Länge: 4,26 Meter, Breite: 1,80 Meter (mit Außenspiegeln: 2,03 Meter), Höhe: 1,49 Meter, Radstand: 2,62 Meter, Kofferraumvolumen: 380 Liter - 1.270 Liter

1,5-Liter-Vierzylinder-Turbobenziner, Frontantrieb; 110 kW/150 PS, maximales Drehmoment: 250 Nm bei 1.500 - 3.500 U/min, manuelles Sechsgang-Getriebe, 0-100 km/h: 8,7 s, Vmax: 218 km/h, Normverbrauch: 4,9 Liter/100 Kilometer, CO2-Ausstoß: 112 g/km, Abgasnorm: Euro 6, Effizienzklasse: A, Testverbrauch: 5,9 Liter
Preis ab: 24.350 Euro (Comfortline)

Kurzcharakteristik:
Warum: weil der Golf immer noch der Maßstab in der Kompaktklasse ist
Warum nicht: weil VW schon wieder bei der Abgasreinigung spart
Was sonst: Opel Astra, Ford Focus, Seat Leon, Renault Mégane, Peugeot 308

Der Artikel "Test: VW Golf - Es fehlt nur der richtige Dreh" wurde am 12.10.2017 in der Kategorie Fahrbericht von Holger Holzer/SP-X mit den Stichwörtern Test: VW Golf, Test-Bericht, Pressevorstellung, Test, Bericht, Kurztest, Vorstellung veröffentlicht.

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