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Kilometer-Millionär im Mercedes 124er - Selbst der TÜV kann sie nicht scheiden

10. Februar 2017, 14:55 Uhr
Benjamin Bessinger/SP-X
Der Lack ist bleich und stumpf, die Sitznähte sind aufgeplatzt und das Lenkrad ganz schön abgegriffen. Doch auf seinen Mercedes 200D lässt Michael Nickl nichts kommen. Schließlich fährt der Daimler-Ingenieur seinen alten 124er jetzt schon seit bald 25 Jahren und hat gerade ein rundes Jubiläum gefeiert.

Diese Fahrt in den Norden wird Michael Nickl so schnell nicht vergessen. Auch wenn der Mercedes-Entwickler wahrlich schon weit herumgekommen ist und ganz andere Gegenden mit seinem Auto gesehen hat, gebührt dem Feldweg in Friesland ein Ehrenplatz in der Erinnerung. Denn hier hat Nickl etwas geschafft, was er selbst kaum für möglich gehalten hätte - und bei seinem 25 Jahre alten Mercedes nach einer Million Kilometern tatsächlich den Tacho genullt. ,,Das ist ein Erlebnis, auf das ich jetzt jahrelang hingearbeitet habe", sagt der 57jährige und zeigt stolz seine Fotos von den sechs Neunern, die gerade so langsam hinter dem Ziffernblatt verschwinden.

Beinahe soweit er sich zurück erinnern kann, hat Nickl den Wagen für diesen Moment gehegt und gepflegt und so schon viele kleine Jubiläen gefeiert. ,,Seit der halben Million war das jedes Mal ein Fest", sagt der Ingenieur und berichtet vom kleinen Umtrunk mit den Kollegen: ,,Fast so, als hätte einer Geburtstag." Kein Wunder, schließlich sind die Kollegen mit dran schuld, dass es überhaupt so weit gekommen ist.

Dabei hat die Mission ,,Millionär" am 16. Juli 1992 ganz unspektakulär begonnen und war vor allen Dingen nicht geplant. Denn kaum hatte der junge Student aus Oberfranken ,,beim Daimler" seinen ersten Job bekommen, hat er seinen gebrauchten Golf Diesel gegen den ersten Werkswagen eingetauscht und wie all seine neuen Kollegen einen 124er gekauft. Und weil das spärliche Einstiegsgehalt nicht weiter gereicht hat, ist es ein 200D mit einem 75 PS starken Vierzylinder geworden. Dunkelblau im Farbcode 904 lackiert, mit Stoffsitzen und einem Glasdach als einzigem Extra.

Wie es damals gang und gäbe war, wollte er den Wagen nach einem Jahr eigentlich gleich verkaufen und sich mit dem Gewinn Motor für Motor, Klasse für Klasse nach oben arbeiten. Doch dann haben erst die Wissenschaftler herausgefunden, dass Diesel möglicherweise krebserregend sei, und danach haben die Politiker auch noch die Zinsabschlagssteuer eingeführt. ,,So war mein Auto nicht nur beinahe unverkäuflich, sondern ich hätte darauf auch noch besonders viel Steuern zahlen müssen", erinnert sich Nickl. ,,Deshalb habe ich ihn einfach behalten und weitergefahren." Und weitergefahren. Und weitergefahren. Und weitergefahren.

Irgendwann ist ihm das Auto dann doch ans Herz gewachsen und als die Kollegen über die ersten Rostflecken zu frotzeln begannen, ist daraus ein Sport geworden. ,,Erst haben sie mich aufgefordert, mir mal ein neues Auto zu kaufen. Und dann haben sie angefangen, mir Wetten anzubieten, wie lange er denn halten würde". So wurden erst die 500.000 zur Hürde und dann jeder weitere Hunderttausender zu einem willkommenen Anlass für eine kleine Feier - selbst wenn es schon lange keine Autowäsche mehr geschenkt gibt und Nickl das Bier mittlerweile selbst mitbringen muss.

Dass der 124er überhaupt so lange durchgehalten hat, wundert Nickl selbst am meisten. Schließlich hat er den Wagen nicht geschont, ist jeden Tag mit ihm 25 Kilometer zur Arbeit hin und wieder zurückgefahren, hat ihn in den ersten Jahren nicht einmal in der Garage geparkt und konnte sich für das samstägliche Autowaschen nie so recht erwärmen.

Aber ich habe ihn immer gut in Schuss gehalten, sagt Nickl. Keinen Ölwechsel hat er verpasst, immer gut geschmiert und lieber zweimal nach dem Luftdruck geschaut als einmal nach dem Lack. Weil der 124er zudem eine grundsolide Konstruktion hat, ist ihm in all den Jahren wenig passiert und er ist nur ein einziges Mal liegen geblieben- ausgerechnet kurz vor der eigenen Haustür und ausgerechnet auf der Autobahn, erinnert sich der Millionär wider Willen.

Zwar parkt Nickl mittlerweile in der Garage und zumindest zu den Kilometer-Jubiläen wird das Auto auch gründlich gewaschen. Doch in 25 Jahren hat der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen: Der Lack ist ein bisschen stumpf geworden, der Stern auf der Haube hat seinen Glanz verloren, die Schalen hinter den Türgriffen wirken, als hätte Nickl sie mit Stahlwolle poliert, unter der Motorhaube mit der zerfledderten Isolierung sieht es aus wie im Heizkeller eines Mietblocks aus den Fünfzigern. Außerdem ist das Lenkrad ist abgegriffen, an dem mit Generationen von Jeanshosen dunkel eingefärbten Fahrersitz bricht so langsam das Polster auf, und bei vielen Schaltern kann man die Beschriftung längst nicht mehr Lesen.

,,Doch für den TÜV reicht es allemal", sagt Nickl und sieht dem nächsten Termin im Jahr 2018 ganz gelassen entgegen. Was bis dorthin zu reparieren sein sollte, erledigt er bei einem Freund auf der Hebebühne am liebsten selbst, weil er sonst keine großen Hobbies hat, die ihn von seine Schreibtisch-Job ablenken könnten. Und die einzige Beanstandung, die seit Jahren kommt, braucht er nur einen schwarzen Filzstift. ,,Denn mittlerweile ist das Kennzeichen so verblasst, dass ich es bei jeder Hauptuntersuchung nachzeichnen muss," lacht der Mercedes-Mann.

Nickl ist sich deshalb sicher, dass der TÜV ihn und seinen Millionär auch im nächsten Jahr nicht scheiden werfen. Viel mehr Angst hat er da schon vor seiner Frau, die es bisweilen leid ist, beim Auffahren auf die Autobahn Blut und Wasser zu schwitzen, weil der Diesel einfach nicht auf Touren kommen will, und die gerne mal ein bisschen schneller fahren würde als die 100, 120 Sachen, die Nickl dem 124er noch abringt.

Doch seit er ihr vor ein paar Jahren mal einen SLK gekauft hat, droht dem Millionär auch aus dieser Richtung kein Ungemach mehr. Und ein neues Auto kommt ihm selbst vor der Rente ganz sicher nicht auf den Hof. Erstens, weil er seinen Kollegen keinen Triumph gönnen möchte. Und zweitens, weil er den aktuellen Modellen angesichts der vielen Kilometer keine solchen Laufleistungen mehr zutraut. ,,Die Zeiten der Kilometer-Millionäre sind wahrscheinlich für immer vorbei.

Der Artikel "Kilometer-Millionär im Mercedes 124er - Selbst der TÜV kann sie nicht scheiden" wurde am 10.02.2017 in der Kategorie News von Benjamin Bessinger/SP-X mit den Stichwörtern Kilometer-Millionär im Mercedes 124er, News, veröffentlicht.

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