ÖPNV

Mercedes-Benz Citaro NGT: Erdgas statt Diesel

8. Februar 2017, 14:46 Uhr
Wolfgang Tschakert
Gegen Verkehrslärm und Feinstaub empfiehlt der Hauptlieferant der ÖPNV-Branche seinen Citaro-Stadtbus mit neuem Gasmotor. Der relativ kleine Fremdzünder überrascht mit kräftigem Antritt und feinen Manieren, wie unsere Proberunde zeigt.

Gegen Verkehrslärm und Feinstaub empfiehlt der Hauptlieferant der ÖPNV-Branche seinen Citaro-Stadtbus mit neuem Gasmotor. Der relativ kleine Fremdzünder überrascht mit kräftigem Antritt und feinen Manieren, wie unsere Proberunde zeigt.

Gleich zu Beginn seiner Karriere ein Paukenschlag, der neue Erdgas-Mercedes gewinnt die Ausschreibung in Augsburg - dort wo man bisher der Marke MAN die Treue hielt. Die Verkehrsbetriebe der Stadt setzen bei ihrer Busflotte seit Jahrzehnten auf Erdgas- statt auf Dieselantriebe, seit 2011 verkehren ausschließlich CNG-Busse (Compressed Natural Gas) auf Augsburgs Stadtstraßen. Mit der Beschaffung von 13 Citaro NGT (Natural Gas Technology) bleiben die Fuggerstädter dem Antriebskonzept treu. Nicht zuletzt wegen der geringeren Stickoxidemissionen - mit Bio-Methan, wie in Augsburg, fahren die Erdgasbusse nahezu CO2-neutral.

Das moderne Fahrzeugkonzept und der neue Motor sollen den Ausschlag gegeben haben, der Citaro ist nun mal leichter und soll auch weniger Kraftstoff verbrauchen als der ältere Wettbewerber aus München. Im Mittelpunkt steht natürlich der neue Gasmotor vom Typ M 936 G, den Mercedes-Benz in Citaro-Solisten und -Gelenkbussen installiert. So kompakt ist sonst keiner, er kommt mit 7,7 Liter Hubraum aus. Mit einem Gewicht von nur 747 Kilogramm inklusive Vorkatalysator belastet er die Hinterachse um 25 Prozent weniger als der Vorgängermotor mit 12 Liter Hubraum. Auch der Tank auf dem Dach fällt leichter aus. Die Gasflaschen fassen jetzt 20 Prozent mehr Volumen. Der Hersteller spricht von gleichen Reichweiten, der Citaro NGT soll mit einer Befüllung ebenso weit wie sein Diesel-Pendant kommen. Die Gewichts-Bilanz kann sich ebenfalls sehen lassen: Unser NGT-Solist bringt nur 305 Kilogramm mehr als ein vergleichbarer Diesel-Citaro auf die Waage.

Leistungsmäßig steht der kleine Fremdzünder nicht zurück, er hat dem Citaro-Basisdiesel mit gleichem Nummern-Code sogar drei Pferdestärken voraus. 302 statt 299 PS, mit maximal 1.200 Newtonmeter Drehmoment herrscht Gleichstand. Wenngleich für die volle Kraft ein paar Drehzahlen mehr benötigt werden, die dem flinken Otto im Heck aber locker von der Hand gehen. Mit der Ecolife-Automatik zur Seite klappt der Fahrbetrieb vorzüglich. Der Antritt ohne Anfahrschwäche ist kräftig genug, fast unbemerkt serviert der ZF-Automat Gang für Gang. Der Citaro NGT beschleunigt kein Jota behäbiger, auch weil die Mercedes-Antriebstechniker ihrer Motor-Charakteristik Rechnung tragen. Sie geben ihrem NGT eine kürzere Achsübersetzung mit, weil es ja immer auf die Leistung am Rad ankommt.

Die große Dachhutze weist den Citaro NGT schon rein optisch zweifelsfrei als Erdgas-Fahrzeug aus. Sie thront wie ein Kamelhöcker über der Vorderachse, dort wo sonst ein Dachklimagerät sitzt. Und ganz ehrlich: Etwas mehr Designaufwand an der Dachpartie hätte man dem Citaro NGT schon gönnen dürfen - Nutzfahrzeug hin oder her. Denn sonst zählt der Citaro zu den eleganteren Vertretern seiner Gattung - bis hin zum Fahrgastraum. Hier werden hochwertige Materialien und Kunststoffe in freundlichen Farben verbaut. Vorn öffnet die Tür pneumatisch, mittschiffs ist eine elektrische Schwenkschiebetür eingebaut. Beide Türen öffnen schnell und schließen satt - die Geräuschentwicklung rund um die Türen bleibt jedenfalls dezent. Auch im Heck, selbst unter Volllast-Beschleunigung, die Fahrgäste werden den Ottomotor schätzen.

Bis zu vier Dezibel weniger strahlt der Erdgasmotor nach innen ab. Das mag nach wenig klingen, entspricht aber einer Halbierung der subjektiv empfundenen Geräusche. Auch außen gibt sich der NGT vorbildlich leise, er rollt flüsternd fast wie ein Elektrobus vorbei. Vorn beim Fahrer hört man den Motor kaum noch, das Abrollen der Reifen dominiert hier die Akustik. Das Fahrwerk mit variablen Stoßdämpfern - sie werden bei Mercedes optional als Wank-Nick-Regelung angeboten - gibt sich auch mit wenigen Fahrgästen betont sanft, aber dank kräftiger Stabilisatoren nie schaukelig.

Die einzelradgeführte Vorderachse wurde wegen der hohen Dachlast auf zulässige 7,5 Tonnen verstärkt. Der Fahrer spürt es beim Handling. Der Citaro NGT gibt sich etwas schwerfälliger als sein betont flinker Dieselkollege. Man wünscht sich spontan etwas mehr Servounterstützung für die betont straffe Lenkung, gerade wenn es um enge Radien geht. Hier hat der Hersteller bereits Abhilfe signalisiert, schon Mitte des Jahres soll es für den Citaro eine elektrohydraulische Lenkung geben. Der Fahrer-Arbeitsplatz, der in allen Citaros Verwendung findet, ist groß genug auch für Langbeiner. Zuletzt wurde das Armaturenbrett noch mit größeren und besser illuminierten Schaltern aufgewertet. Die Pedalerie ist perfekt, der Citaro NGT reagiert feinnervig, so wie es sich gehört.

Der Erdgas-Bus soll laut Hersteller bis zu 20 Prozent weniger Methan als sein Vorgängermodell verbrennen. Für dieses Ergebnis ist nicht nur der Motor verantwortlich, der Citaro kann auch mit seinen Nebenaggregaten gut sparen. Optional ist das empfehlenswerte Rekuperations-Modul an Bord, das in der Schubphase kostenlos Strom erzeugt und in Doppelschicht-Kondensatoren speichert. Diese Energie wird dann zur Versorgung von Verbrauchern genutzt - beispielsweise der elektrischen Türen. Damit werden die Generatoren entlastet, deren Lebensdauer verlängert und der Kraftstoffverbrauch reduziert. Oder der elektronisch geregelte Luftpresser, auch der Erdgas-Citaro ist mit dem technologischen Fortschritt gesegnet, der das dieselgetriebene Basismodell heute so erstrebenswert macht.

Unser Fazit:
Alle reden vom Elektrobus. Marktführer Daimler forciert derweil seinen Gasantrieb, wie ist das zu verstehen? Der Hersteller als Hauptlieferant sieht sich gefordert, seinen Kunden für die Übergangszeit eine machbare umweltverträgliche Lösung anzubieten. Denn die Zwickmühle für die Kommunen ist groß: Von Feinstaub und Lärm geplagte Bürger klagen, schon heute ist der Handlungsbedarf groß. Die Umsetzung scheint jedenfalls gelungen. Der neue kompakte Gasantrieb macht im Citaro eine gute Figur, er ist umweltverträglich, komfortabel und sparsam.

Wolfgang Tschakert / mid

Technische Daten Mercedes-Benz Citaro NGT:
Stadt-Bus, Länge/Breite/Höhe in Meter: 12,1/2,55/3.39, Leergewicht: 11.720 kg, zul. Gesamtgewicht: 18.000 kg, Kraftstofftank: 1.360 l in 6 CNG-Flaschen, Bereifung: 275/70 R 22,5, Fahrwerk: Vorderachse mit Einzelradführung mit Doppelquerlenkern; angetriebene ZF-Portalachse AV 132, Bremsanlage: Zweikreis-Druckluft-Bremssystem EBS, Scheibenbremsen an allen Achsen, Lenkung: Hydraulische ZF-Kugelmutterlenkung mit variabler Übersetzung, Sitzplätze: 28, Stehplätze: 64, Preis gemäß Testkonfiguration: 309.000 Euro.
Antrieb: CNG-Reihensechszylinder, Abgasturboauflader mit asymmetrischer Turbinengeometrie plus 2 Wastgate-Ventilen, Ladeluftkühlung, Hubraum: 7.700 ccm, Nennleistung: 222 kW/302 PS bei 2.000/min, max. Drehmoment: 1.200 Nm bei 1.200 - 1.600/min, Sechsgang-Getriebeautomat ZF 6 AP 1200 mit integriertem Retarder, Abgasnorm: Euro 6, Elektrik: Bordspannung 24 V, drei Drehstromgeneratoren a 150 A, zwei Batterien 12 V/200 Ah, Rekuperations-Modul 1 Ah/24 V.

Der Artikel "Mercedes-Benz Citaro NGT: Erdgas statt Diesel" wurde am 08.02.2017 in der Kategorie New Mobility von Wolfgang Tschakert mit den Stichwörtern Bus, ÖPNV, Erdgas, Alternativer Antrieb, Umwelt, New Mobility, veröffentlicht.

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