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Autonom über die A9 - Geisterfahrt im Dienst des Fortschritts

23. April 2015, 11:19 Uhr
Benjamin Bessinger/SP-X
Die Zukunft ist näher als man denkt: Nicht nur in Nevada und Kalifornien, sondern auch mitten in Bayern sind schon führerlose Autos unterwegs. Denn auf der A9 zwischen Ingolstadt und Nürnberg erprobt Audi jetzt das pilotierte Fahrern und macht Hoffnung auf eine überraschend baldige Serienreife.

Es ist Donnerstagmorgen halb neun und die Autobahn zwischen Ingolstadt und Nürnberg ist voll wie immer. Doch wo die anderen genervt ihrem Büroalltag entgegen zuckeln und verbissen um die verlorenen Minuten kämpfen, sitze ich ganz entspannt am Steuer, blättere in der Zeitung und organisiere auf dem iPhone schon mal die Termine des Tages. Denn mein Auto ist kein gewöhnlicher Dienstwagen. Ich bin unterwegs mit ,,Jack", einem Prototypen, mit dem Audi das pilotierte Fahren erprobt. Nachdem dieser A7 in Amerika bereits führerlos von der Westküste nach Las Vegas unterwegs war, geht seine Geisterfahrt im Dienst des Fortschritts jetzt hier auf der A9 weiter.

Diese Zeitreise in die nahe Zukunft des Autofahrens beginnt spektakulär unspektakulär: Kaum habe ich den Wagen noch selbst aus der Stadt und auf die Schnellstraße gelenkt, schickt mir der Bordcomputer mit einer schlichten Textnachricht im Kombiinstrument die Einladung zum pilotierten Fahren. Nur zwei Tasten im Lenkrad muss ich dafür drücken, dann surrt die Lenksäule automatisch zurück, die Lichtleiste oberhalb des Armaturenbretts wechselt ins Blau-Grüne und ,,Jack" übernimmt den Job.

Er hängt sich an den Kleintransporter vor ihm, beschleunigt gemächlich und sobald die Lücke groß genug ist, setzt er den Blinker, zieht nach links und überholt, als sei es die normalste Sache der Welt. Kurven irritieren ihn dabei genauso wenig wie die Schnellfahrer, die unterdessen auf der dritten Spur an uns vorbei schießen. Und kaum taucht der Transporter im Rückspiegel auf, hat Jack auch schon wieder den Blinker gesetzt und ist zurück auf der rechten Spur eingeschert. So rollt er ganz ruhig nach Norden und wirkt dabei so sicher, als könnte die Fahrt nicht nur bis Greding, sondern bis Nürnberg, ach Quatsch: am besten gleich bis Kiel so weitergehen.

Was vor ein paar Jahren noch nach ferner Science-Fiction klang, fühlt sich heute schon ungeheuer real an. Mit jedem Kilometer wächst das Vertrauen, jeder erfolgreiche Spurwechsel lässt den Puls ein bisschen weiter sinken und selbst der Ingenieur auf dem Beifahrersitz, der zur Sicherheit noch eine Fahrschulpedalerie im Fußraum hat, wirkt irgendwie entspannt und gelöst. Dass die Fahrt ein bisschen langsamer ist als üblich, die Lücken zum Vordermann länger werden, man auch mal ein paar Sekunden hinter einem Laster her zuckelt, dass Jack grundsätzlich nicht schneller als 130 fährt und dass er notorischen Dränglern bereitwillig die Spur frei macht - all das ist plötzlich nicht so wichtig, wenn Fahrzeit keine verlorene Zeit mehr ist und man unterdessen mit den Hinterbänklern plaudert oder seine Mails abarbeitet.

Da ist es fast schon beruhigend, dass auch ,,Jack" nicht perfekt ist: Weil er nur 250 Meter weit schauen kann, bringt ihn eine schlecht ausgeschilderte Wanderbaustelle kurz vor dem Altmühltal zum Beispiel hart an die Kompetenzgrenze und er bekommt den Wagen gerade noch alleine herunter gebremst. Bisweilen lässt er sich von Temposchildern auf der Rückseite von Lastwagen in die Irre führen, und als plötzlich ein rücksichtsloser Kurierfahrer ohne Vorwarnung ausschert, bin ich froh, dass der Versuchsingenieur rechts neben mir so flinke Füße hat. Weil Jack bislang weder am Lenkrad noch an der Bremse mit voller Kraft agieren kann, hätte er die Situation alleine nicht pariert. Aber genau das ist der Grund, weshalb das pilotierte Fahren eben doch noch Zukunftsmusik ist und sich die Entwickler noch ein paar Jahre Zeit ausbitten.

Trotzdem allerdings sieht dieser A7 auf den ersten Blick schon gefährlich seriennah aus. Denn abgesehen von der auffälligen Beklebung ist außer einer speziellen Kamera hinter dem Spiegel nicht viel von der neuen Technik zu sehen. Doch schon in der Mittelkonsole haben die Bayern eine zusätzliche Schalterbatterie versteckt und der Kofferraum steckt noch voller Computer.

Später einmal soll deren Job das zentrale Fahrerassistenz-Steuergerät machen, in dem die gesamte Intelligenz des Autopiloten gebündelt wird. Mit mehr Rechenpower als das erste Space Shuttle wertet es die Signale aller Sensoren in Echtzeit aus und berechnet die entsprechenden Manöver. Ein Radarsystem erfasst das Vorfeld des Autos, eine Videokamera erkennt Fahrbahnmarkierungen, Leitplanken, Fußgänger und andere Fahrzeuge. Ein Laserscanner liefert zusätzlich hochpräzise Daten zu Objekten in einer Entfernung von bis zu 80 Metern. Bis zu zwölf Ultraschall-Sensoren und vier Kameras überwachen darüber hinaus den kompletten Bereich rund um das Auto. Daraus errechnet der virtuelle Chauffeur sein Umgebungsmodell und leitet seine Entscheidungen ab.

Dieses ,,später" kommt früher, als manche meinen: Schon der nächste A8 soll genau wie Jack autonom über die Autobahn fahren - allerdings nur bis 60 km/h. ,,Das haben wir bis zur Markteinführung 2017 im Griff", sagt ein Entwickler und ist zuversichtlich, dass bis dahin auch der Gesetzgeber so weit sein wird. Danach werde es noch einmal um die fünf Jahre dauern, bis sich der Fahrer ganz zurücklehnen und die Autobahnfahrt auch bei höherem Tempo dem Autopiloten überlassen kann, schätzt Projektleiter Bernd Rössler.

Damit das allerdings mehr als nur Entlastung und Entspannung bringt, muss der Gesetzgeber noch ein paar weitere Regelungen treffen, sagt Rössler. Denn nicht nur der zugestandene Einflussbereich der Assistenzsysteme müsse erweitert werden, sondern auch der Spielraum für den Fahrer. In einem ersten Schritt werde wohl die Bordelektronik die freie Zeit am Lenkrad verkürzen müssen, in dem sie E-Mails vorliest, Telefonverbindungen herstellt oder Ausflüge ins Internet ermöglicht. Aber den richtig großen Gewinn des autonomen Fahren hat man erst, wenn man sich eine Zeitung greifen, auf dem iPad surfen oder sogar ein Nickerchen machen kann, räumt Rössler ein. Und davon seien wir heute noch weit entfernt: ,,Selbst der Griff zum Handy ist nach aktueller Regelung auch im autonomen Betrieb genauso verboten wie  bisher."

Eine entscheidende Frage dabei ist die Zeit für die Kommando-Übergabe: Wie lange im Voraus kann der Autopilot den Fahrer zurück in die Verantwortung nehmen, und wie viel Zeit braucht der Mensch, bis er wieder voll im Bilde ist und seinen Führungsaufgabe ordentlich wahrnehmen kann? Im A7 auf der A9 funktioniert das bereits ganz ordentlich: Selbst in unvorhersehbaren Situationen wie Baustellen beträgt die Karenzzeit rund 15 Sekunden. Verläuft die Fahrt planmäßig und vorhersehbar, meldet die Elektronik das Ende des pilotierten Modus sogar mehr als eine Minute vorher.

Kurz vor Greding ist es so weit. Die Uhr des Autopiloten in der Mittelkonsole ist fast abgelaufen, ein paar hundert Meter vor der Ausfahrt beginnt der Countdown, die grüne Lichtleiste wird erst gelb, wechselt dann ins Rote und während sich ,,Jack" abmeldet in den Feierabend ist mein Ausflug in die Zukunft wieder vorbei. Wenn ich jetzt nicht gleich die Hände ans Lenkrad nehme, macht der Autopilot den Warnblinker an und parkt den Wagen am Straßenrand. Denn auf der Landstraße oder im Stadtverkehr kennt sich Jack noch nicht aus und verweigert deshalb den Dienst. Wer sich auch dort chauffieren lassen möchte, der muss noch ein paar Jahre länger warten - oder einfach ein Taxi rufen.

Der Artikel "Autonom über die A9 - Geisterfahrt im Dienst des Fortschritts" wurde am 23.04.2015 in der Kategorie News von Benjamin Bessinger/SP-X mit den Stichwörtern Autonom über die A9, News, veröffentlicht.

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