News

Der Boom hält an - Fahren wir in Zukunft alle SUV?

26. Februar 2015, 11:56 Uhr
Hanne Lübbehüsen/SP-X
Die Pkw-Form SUV boomt in einem in der Geschichte des Autos noch nie dagewesenen Ausmaß. Wo führt das hin? Eine Spurensuche in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Woran merkt man, dass das SUV in den Köpfen der Menschen als DIE gängige Autoform angekommen ist: An den Zulassungszahlen? An den neuen Modellen, die fortwährend auf den Markt rollen? An der sich mühsamer gestaltenden Parkplatzsuche, weil Fahrer von großen SUV viel Parkraum beanspruchen müssen? Auch. Aber ebenso daran, dass ein vierjähriger Steppke fragt: ,,Warum fährst Du so ein komisches Auto?" ,,Komisch?" ,,Das ist so flach." Dann fährt Steppkes Mama also SUV, man selbst ,,nur" Kombi.

Die SUVsierung der Modellpaletten hat in den vergangenen Jahren mächtig Fahrt aufgenommen. Von Mini-SUV (Nissan Juke, Opel Mokka, Peugeot 2008) über das Kompaktsegment (Audi Q3, VW Tiguan, Ford Kuga) bis zur Oberklasse (BMW X5, Volvo XC90, Mercedes M-Klasse) haben so gut wie alle Hersteller mehrere SUV im Modellprogramm, meist parallel zu klassisch-flachen Modellen ähnlicher Größe.

Natürlich steht dem zunehmenden Angebot eine entsprechende Nachfrage gegenüber. Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes sind im vergangenen Jahr 20,6 Prozent mehr SUV verkauft worden als 2013. Dazu kommen diverse große Offroader, die aufgrund ihrer Typgenehmigung statistisch den Geländewagen (+6,5%) zugeordnet werden. Etwa jedes sechste Auto, das 2014 neu zugelassen wurde, fiel in eines der beiden Segmente. Im Jahr 2008 (da wurden beide Klassen sogar noch nicht einmal getrennt ausgewiesen) waren es nicht einmal halb so viele.

Aber woher kommt die plötzliche Vorliebe für hochbauende Karosserien, die sich der Aerodynamik trotzend breit in den Fahrtwind stellen, sich meist schwerfälliger und im Stadtverkehr unübersichtlicher bewegen lassen? Hatten sich doch die Autohersteller seit Ende der 50er Jahre bemüht, flachere, niedrigere Modelle zu entwickeln. ,,Die Autos sollten in den 1960ern nicht nur schneller und progressiver, sondern auch eleganter aussehen als das ,Kartoffeldesign' der 1940er", sagt der Kölner Design-Professor Paolo Tumminelli. ,,Wenn wir so wollen, kehren wir jetzt den Trend und kommen zum ,Kartoffeldesign' zurück."

Etwa seit den 90er-Jahren hat das Segment der ,,Sports Utility Vehicle" zunächst in den USA Fahrt aufgenommen, als Begründer gilt der Toyota RAV4. Der Trend zu hochgelegten Karosserien schwappte dann auch nach Europa. Wichtiger als Fähigkeiten im Gelände - viele Modelle bieten Allrad-Antrieb nur gegen Aufpreis - sind ein robuster Auftritt mit ausgestellten Radhäusern, steiler Front und Offroad-Beplankung sowie der typische erhöhte Einstieg.

,,SUV sind vor allem beliebt, weil sie die Geländewagenanmutung das Bedürfnis vieler Menschen nach hoher Sicherheit und kokonartiger Geborgenheit optisch sehr gut repräsentieren", meint Stefan Bratzel, Professor an der FH Bergisch-Gladbach und Direktor des Center of Automotive Management. Dem Trend in die Karten spielt der seit einigen Monaten (nicht nur in Deutschland) fallende Kraftstoffpreis. ,,Die niedrigen Spritpreise sind nicht die Ursache, aber ein weiterer Treiber des SUV-Wachstums", so Bratzel.

Das SUV als eine vom Marketing getriebene Idee? Das meint auch Designer Tumminelli. In der Vergangenheit hätten Ingenieure für die Überlegenheit des Automobils in Bezug auf Leistung gekämpft, für Geschwindigkeit (1960er), Fahrdynamik (70er), Effizienz (80er). Seit den 90ern spielten vor allem Marketing-Faktoren eine Rolle: ,,Die pseudosportliche Form lockt eine rapide alternde, vor allem westliche Kundschaft, die nicht mehr fit für den 911er ist", glaubt Tumminelli. ,,Dass die Dynamik nur künstlich ist, stört niemanden: Schließlich sind bei der anvisierten Zielgruppe Haaren, Ohren, Hüften, Herz - und Gott weiß was sonst noch - bereits jetzt künstlich."

Längst haben die Autohersteller natürlich sowohl alle Altersgruppen als auch alle Käuferschichten für das Segment entdeckt. Vom Einstieg für rund 11.000 Euro mit dem Billig-SUV Dacia Duster bis zu den für dieses Jahr angekündigten Modellen der Luxus-Hersteller Bentley (Bentayga) und Maserati (Levante). Dass selbst die Traditionsmarke Rolls-Royce, die nicht im Verdacht steht, auf kurzfristige Modeerscheinungen zu reagieren, ein hochgebocktes Modell angekündigt hat, zeigt, wie ernst die Hersteller den Trend nehmen. Das kann man auch an anderer Stelle ablesen: So stockt beispielsweise Mercedes die Kapazitäten im amerikanischen Tuscaloosa-Werk auf. Aufgrund der anhaltend starken Nachfrage nach SUV benötige man alle verfügbaren Produktionskapazitäten für dieses Segment, heißt es in einer Mitteilung. Mehr als 300.000 Einheiten (M-Klasse, GL, GLE sowie C-Klasse) sollen hier 2015 vom Band rollen. Porsche, eigentlich ein Synonym für Sportwagen, produziert inzwischen mehr SUV als 911er oder andere Sportler. 

Doch müssten die immer anspruchsvolleren Emissionsnormen rund um den Globus den Trend zu mehr Hochbeinern nicht automatisch stoppen? Größe, Gewicht und die höher im Wind stehende Karosserie verlangen jedenfalls einen tieferen Griff in die Kiste der Spritspartricks, als die flacher geformten Limousinen, Coupés oder Kombis die bisher das Produktportfolio der Hersteller beherrschten.

Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs wird deshalb zum Standard werden, glaubt man beim Automobilzulieferer Bosch: ,,Wenn Sie in zehn Jahren in Deutschland ein SUV kaufen, wird wohl in nahezu 100 Prozent der Fälle ein Hybridantrieb an Bord sein", sagt Stefan Seiberth, Bereichsvorstand Gasoline Systems.

In der EU liegt die Flottengrenze ab 2021 bei 95 Gramm CO2/km, was einem Durchschnittsverbrauch von 4,1 Litern Benzin (3,6 Litern Diesel) auf 100 Kilometern entspricht. Ein Wert, den SUV üblicherweise verfehlen. Nach Angaben des Center of Automotive Management der FH Bergisch Gladbach lagen die CO2-Emissionen des Segments SUV im Dezember beispielsweise bei durchschnittlich 141,8 g CO2/km und damit deutlich über dem Durchschnitt anderer Segmente, wie der Oberen Mittelklasse (138,1 g/km). Mit dem Verkauf von kleinen, emissionsarmen Fahrzeugen können die Hersteller das zum Teil ausgleichen.

Für große und schwere SUV sieht Seiberth den Plug-in-Hybrid trotzdem als Mittel der Wahl, zumal die Batteriekosten deutlich sinken sollen: Bis 2020 auf den halben Preis bei doppelter Leistungsdichte. Verbrauchsversprechen aktueller SUV-Plug-ins wie Volvo XC90 (2,5 Liter bei 400 PS), BMW X5 (3,8 Liter bei 300 PS) und Porsche Cayenne (3,4 Liter bei 416 PS) klingen ebenso verführerisch wie phantastisch.

Macht die Hybridisierung also den Weg frei für SUV für jedermann? Fahren wir in Zukunft alle SUV? ,,Ja, das Auto wird höher", sagt Design-Professor Tumminelli, auch wenn das Wort SUV dann nicht mehr immer angebracht sei. Selbst Limousinen und Sportwagen seien schon höher geworden. Das Problem seien die Räder: ,,Größere Räder  zwingen zu höheren/dickeren Autos."
Andere Designs bleiben auf der Strecke - wer will sich schließlich im engen Verkehr zwischen all den hochsitzenden Autofahrern herabgesetzt fühlen. Das erzeugt eine Art Gruppenzwang: ,,Ein klassisches Problem von ,social proof': Wenn alles höher wird und alle mitmachen wollen, gewöhnt man sich schnell daran und vergisst, was früher schön war", so Tumminelli. Was ,früher' schön war? Davon erzählen wir dann in einem guten Dutzend Jahren - wenn Steppke seinen Führerschein macht.

Der Artikel "Der Boom hält an - Fahren wir in Zukunft alle SUV?" wurde am 26.02.2015 in der Kategorie News von Hanne Lübbehüsen/SP-X mit den Stichwörtern Der Boom hält an, News, veröffentlicht.

Weitere Meldungen

24. April 2024

Der neue ID. Code von VW feiert Weltpremiere

Die Wolfsburger zeigen auf der Auto China 2024 in Peking mit der Weltpremiere des ID. Code einen ersten Ausblick auf ...