Technologie & Verkehr

Verbrauch in Werbung und Praxis: Die Mensch macht den Unterschied

19. Oktober 2014, 11:05 Uhr
Axel F. Busse
Egal, ob Kleinwagen oder Luxuslimousine - eine Tatsache nivelliert alle Standesunterschiede zwischen den Autofahrern: Die Fahrzeuge verbrauchen zu viel.

Egal, ob Kleinwagen oder Luxuslimousine - eine Tatsache nivelliert alle Standesunterschiede zwischen den Autofahrern: Die Fahrzeuge verbrauchen zu viel. Bei jedem Zapfsäulenbesuch wird es dem frustierten Kraftfahrer schmerzhaft vor Augen geführt, wie weit der tatsächliche Konsum des Wagens und der angebliche Verbrauch laut Herstellerangabe auseinander liegen.

Sind die Autofabrikanten alle Betrüger? Wieso darf in einem Prospekt ungestraft von 6,5 Litern je 100 Kilometer geredet werden, wenn das Auto in Wahrheit acht oder neun Liter schluckt? Tatsache ist, und zum Glück hinlänglich bekannt, dass die individuelle Fahrweise dessen, der am Steuer sitzt, den Praxisverbrauch in einer Bandbreite von bis zu 30 Prozent beeinflussen kann, was angesichts der im Mittel der vergangenen 15 Jahre um durchschnittlich mehr als vier Prozent per anno gestiegen Spritpreise beachtenswert ist.

Die heute weit verbreitete Abschaltautomatik vermeidet Kraftstoff-Verschwendung an roten Ampeln oder im Stopp-and-Go-Verkehr. Aber auch, wer Kavalierstarts meidet und früh hoch schaltet kann sich selten darüber freuen, auch nur in die Nähe der Norm-Verbrauchswerte zu kommen, die der Hersteller laut Datenblatt für sein Fahrzeug vorgesehen hat. Doch diese Werte entspringen weder der Phantasie von Prospekt-Textern noch der Absicht, Kunden hinters Licht zu führen. Sie sind in einem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren ermittelt und so für die Information über das Produkt und den Vergleich mit anderen Fahrzeugen geeignet.

Seit Plugin-Hybridfahrzeuge die Szenerie bereichern, ist das Thema nicht einfacher geworden. Eher im Gegenteil: Supersportwagen mit mehreren hundert PS und Top-Geschwindigkeiten von jenseits 300 km/h können offiziell mit Verbrauchswerten von unter fünf Litern je 100 Kilometern prahlen. Auch die Hersteller dieser Fahrzeuge wissen genau, dass im normalen Fahrbetrieb niemand solche Werte erzielen kann, dennoch wird ganz legal damit geworben nach dem Motto: ,,Leistung und Effizienz sind kein Gegensatz".

Auslöser der Problematik ist der so genannte Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ). Seine Bestimmungen sorgen zum Beispiel dafür, dass die elektrisch erzielbare Reichweite zu zwei Dritteln in die Berechnung für den Gesamt-Durchschnittsverbrauch eingeht. Elektrisch gefahrene Verbrauchs-Kilometer können sinnvoller Weise aber nur in kWh je 100 Kilometer beziffert werden, weshalb die Aussage von zum Beispiel ,,2,5 Liter/100 km" ein theoretischer Wert ist, der einen bedeutsamen Teil des Gesamtverbrauchs an Energie unberücksichtigt lässt.

,,Was die Industrie macht", sagt Auto-Experte Prof. Ferdinand Dudenhöffer, ,,ist nicht unrechtmäßig, aber verständlich". Die Fahrzeuge würden ,,unter idealisierten Bedingungen" auf ihren Verbrauch hin getestet und so kämen die praxisfernen Werte in die Prospekte. Die Testbedingungen sind europäisches Recht und bis ins kleinste Detail normiert. Kein neues Auto, dessen Verbrauchsermittlung bevorstand, hat je eine Straße gesehen. Der NEFZ wird auf einem Rollenprüfstand gefahren, dauert nicht einmal 20 Minuten und simuliert mittels festgelegter Beschleunigungs-, Brems- und Rollphasen die Fahrt durch Stadtverkehr oder über Land.

Die Haube steht offen, ein Ventilator bläst künstlichen Fahrtwind gegen die Front. Das Gasgeben und Bremsen besorgen entweder Menschen oder Roboter. Am Schluss der exakt 1180 Sekunden dauernden Prozedur wird nicht im Tank nachgeschaut, wie viel nachgefüllt werden muss, sondern auf der Grundlage der von hoch empfindlichen Sensoren gemessenen Abgaswerte errechnet, wie viel Kraftstoff das Fahrzeug auf einem tatsächlichen 100-Kilometer-Trip wohl verbrauchen würde.

Dass schon diese Tatsachen für eine empfindliche Diskrepanz zwischen Norm- und Praxiswerten sorgen, ist leicht nachvollziehbar. Dazu kommt aber, dass es Bereiche gibt, für die keine Vorschriften herrschen und in denen die Automobilbauer den zu erwartenden Konsum ihres Fahrzeugs in ihrem Sinne beeinflussen können. Erhöhter Luftdruck zum Beispiel sorgt für weniger Rollwiderstand der Reifen und folglich für weniger Verbrauch. Spezielle Reifenprofile können den gleichen Effekt haben. Leichtlauföle, die für den Alltagsverkehr völlig untauglich wären, können die Reibung innerhalb von Motor und Getriebe so verringern, dass es sich ebenfalls positiv auf Verbrauch und Emissionen auswirkt. Selbst die Abstimmung der Übersetzung ist dazu geeignet, die Messwerte zu beeinflussen. Zwar ist das getestete Auto, wie gesetzlich gefordert, ein Serienfahrzeug, dennoch so optimiert, dass es im NEFZ den geringsten technisch erreichbaren Verbrauch zeigt.

Da kann kein Autofahrer mithalten. Schon gar nicht, wenn er halbwegs komfortabel unterwegs sein will. Dann nämlich wird im Sommer die Klimaanlage eingeschaltet. Das kann einen Liter mehr je 100 Kilometer bedeuten. Oder die Sitzheizung im Winter, ebenfalls ein Stromverbraucher, der sich auf den Spritkonsum auswirkt. Schon wer das Seitenfenster oder das Hubdach einen Spalt öffnet, verschlechtert den Luftwiderstandswert seines Fahrzeug und muss erhöhten Verbrauch einkalkulieren. Autos im EU-Normtest fahren selbstverständlich ohne Heizung, Klimaanlage oder was sonst noch schädlich für ein optimales Ergebnis sein könnte.

Die Werbung mit den Normwerten aus dem NEFZ, die an keiner Tankstelle der Realität standhalten, hat die Autoindustrie in Misskredit gebracht. ,,Die Hersteller täten gut daran", sagt Ferdinand Dudenhöffer, ,,Tests zu machen, die sich mehr an der Realität orientieren". Die aktuelle Diskrepanz zwischen Soll und Ist beschädige aber nicht nur die Glaubwürdigkeit der Hersteller, die in Verdacht gerieten, mit falschen Zahlen zu operieren. Auch die EU ist mitverantwortlich für das Dilemma, denn sie hat den realitätsfernen Norm-Zyklus zum verbindlichen Standard gemacht habe, an dem sich alle orientieren müssen.

Dudenhöffers Empfehlung: Es müsse eine gemeinsame Initiative von Herstellern und Behörden geben, neue Messverfahren zu entwickeln, die dem Kunden ein realistisches Bild von den Eigenschaften seines Autos vermitteln. ,,Es kann nicht sein", so Dudenhöffer, ,,dass ein Politiker den Herstellern vorwirft, sie würden nach praxisfremden Verfahren messen, wenn er selbst für die rechtlichen Bedingungen dieser Verfahren mitverantwortlich ist".

In der Tat laufen seit vielen Monaten solche Gespräche auf der EU-Ebene. Aber ein Ergebnis ist noch nicht abzusehen. Deswegen wird uns der heutige Normwert noch lange begleiten. Wer sich für ein Auto entschieden hat. muss sich um die schlechte Norm nicht mehr kümmern. Er steht vor der Frage, wie er den Verbrauch seines Autos niedrig halten kann. Wer selbst etwas tun will, den Konsum seines Fahrzeugs zu minimieren, sollte folgende Punkte beachten:

Drehzahl niedrig halten. Beim Anfahren zügig in den nächsthöheren Gang wechseln und dann jeweils ab etwa 2000 Umdrehungen weiter hochschalten. Kein moderner Motor leidet unter niedertouriger Fahrweise wie zum Beispiel bei 50 km/h im vierten Gang. Bei Dieselmotoren kann bereits bei niedrigeren Drehzahlen hochgeschaltet werden, da sie über ein höheres Drehmoment verfügen.

Vorausschauend fahren. Vor allem im Stadtverkehr auf Hindernisse wie Ampeln oder Stauenden rechtzeitig reagieren, also das Gas wegnehmen. Die meisten Motoren verfügen über eine Schubabschaltung, Verbrauch ,,null" erreichen Sie also nur, wenn Sie nicht auskuppeln. Jeder Tritt aufs Bremspedal setzt Bewegungsenergie in nutzlose Wärme um. Erst langsam beginnen Hersteller, Technik anzubieten, die diese Energie zurück gewinnt.

Bei Halt Motor abstellen. Wer ein älteres Fahrzeug ohne Abschaltautomatik hat, kann manuell sparen. Schon bei Wartezeiten von mehr als zehn Sekunden lohnt es sich, den Motor abzuschalten. Im Stadtbetrieb spart das bis zu 30 Prozent Verbrauch bei minimal höherem Verschleiß des Anlassers. Beim Wiederanlassen, Fuß vom Gas, für den nötigen Kraftstoff sorgt die Startautomatik.

Reifendruck erhöhen. Wer seinen Reifendruck um 0,2 bis 0,5 bar über die Herstellerangabe für das unbeladene Fahrzeug erhöht, muss zwar mit geringen Einbußen des Fahrkomforts rechnen. Der minimierte Rollwiderstand der Räder wird sich jedoch positiv auf den Verbrauch auswirken.

Ballast entfernen. Winterreifen im Kofferraum spazieren zu fahren kostet ebenso bares Geld wie die Kiste Mineralwasser, die nach dem Einkauf nicht gleich ausgeräumt wird. In der Regel gilt: 100 Kilogramm weniger Gewicht an Bord entsprechen 0,3 Liter Kraftstoffersparnis auf 100 Kilometer. Außerdem sollte man Dachträger und andere Aufbauten sofort nach Benutzung abnehmen, um den Luftwiderstand zu verringern. (ampnet/ab)

Der Artikel "Verbrauch in Werbung und Praxis: Die Mensch macht den Unterschied" wurde am 19.10.2014 in der Kategorie News von Axel F. Busse mit den Stichwörtern Technologie & Verkehr, Umwelt & Verkehr, NEFZ, Normverbrauch, Fahrverhalten, News, veröffentlicht.

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